Helden wider Willen

Diese Kolumne soll den pflegenden, umsorgenden Angehörigen von chronisch unheilbar Erkrankten gewidmet sein, die am Anfang ihrer Ehe geschworen haben "in guten wie in schlechten Zeiten" zum Partner zu halten. Was die schlechten Zeiten betrifft, so gilt das, egal wie hart es ist und egal wie lange es dauert, bis der Tod dem ein Ende bereitet.

Die christlichen, ethischen Werte, denen man sich verpflichtet fühlt, stehen wie eine Mauer in unseren Köpfen: Nächstenliebe, Menschlichkeit, Toleranz, Loyalität....Leistungsbereitschaft....bis hin zum (interpretierten) kategorischen Imperativ, dass du niemals einem Menschen das antun sollst, was du nicht willst, dass man es dir antue.

So sind wir erzogen worden, Pflichtgefühl inklusive.
Auch wenn wir nur kurzzeitig ausscheren, spüren wir den Druck von außen wie von innen. Die Gesellschaft und das eigene schlechte Gewissen machen einen fertig.

Einen unheilbar krebskranken Angehörigen verlässt man nicht.

Wenn der Krankheitsverlauf jahrelanges Kümmern erfordert, dann ist das eben so. Man sollte dankbar sein den Partner so lange zu haben, wenn auch schleichend körperlich immer kränker und charakterlich vielleicht komplett verändert. Nur im geschützten Raum einer Selbsthilfegruppe oder einer Therapie darf man sagen, was das für eine furchtbare Fessel ist, die einen selbst krank machen kann.

Betroffen sind
Partner, die ungeduldig oder cholerisch sind.
Partner, denen Verzicht, Einschränkung und Aufopferung im eigenen Leben nicht leicht fallen.
Partner mit beruflichen 40-60-Wochenstunden.
Partner, deren Stärken weder im wörtlich pausenlosen Kümmern noch in einer peniblen Hygiene liegen.
Partner, die vielleicht von sporadischen Depressionen oder einer Neigung zu Suchtverhalten geplagt sind, nichts wirklich Pathologisches, aber die sich anstrengen müssen selbst in der Spur zu bleiben.
Partner, die scheinbar klaglos hinter Bergen von Wäsche und Medikamenten zu verschwinden scheinen.

Weitere Aufzählungen von unpassenden Kümmeren wären ein Leichtes....

Mal ganz ehrlich, alle Vorgenannten zusammen sind doch keine Minderheit? Strahlende, selbst genügsame Helden in dem Metier sind meines Erachtens rar.

Pflege, verlässliches, tagtägliches Kümmern: Kann man alles lernen. Kann man das? Lernen, indem man es tut? Weil Liebe heißt grenzenlos für den anderen da zu sein? Nein, ich meine nicht, dass man das deshalb kann, weil man vielleicht schon Kinder aufgezogen hat. Das ist etwas völlig anders.

Die zeitliche Perspektive spielt bei der Pflege eine große Rolle. Kurzfristig, mittelfristig ein paar Wochen, ein paar Monate, auch ein paar Jahre, JA, aber Jahr um Jahr, sich verschlechternd, das Ende nicht in Sicht? Meistens nur auf sich und den kranken Partner gestellt?

Das Glück im deutschen Sozialstaat zu leben, in dem es Entlastungen wie z.B. die Kurzzeitpflege u.a. gibt, täuscht nicht über die langfristigen belastenden persönlichen Anforderungen hinweg.

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die dem Staat alle eigentlich privaten Aufgaben übertragen wollen. Sondern das ist zunächst Vertragsinhalt zwischen zwei Personen. Das war der Deal bei der Heirat. "Auch in schlechten Zeiten", so lautet die Abmachung, jetzt ist Zahltag.

Aber wohin mit der verbotenen Wut und den desillusionierten Überforderungsgefühlen, der lähmenden Hilflosigkeit? Dem hohen Erwartungsdruck? Der gähnenden Perspektivlosigkeit? Nur wenige Partner schaffen es in die Lücken zu springen, die die Pflege ihnen lässt und sich darin ein weiterhin selbstbestimmtes, erfüllendes Leben zu stricken. Das dann meistens allein? Dazu braucht man Kraft, Widerstandswillen, Organisationstalent, Disziplin und die Gabe sich an Kleinigkeiten zu freuen. Man muss entweder darüber nachgedacht haben oder den Instinkt dazu haben sich auf diese Weise selbst zu retten.

Familie und Freunde loben: "wie tapfer du bist, wie viel Kraft du ausstrahlst, wie du das alles schaffst....", trösten "man wächst mit seinen Aufgaben, raten "versuch dich zwischendurch zu entspannen" und ätzen unter sich "wie lange der das noch durchhält? Das ist ja furchtbar. Hoffentlich ist es bald vorbei! Ich könnte das nicht!"

Im Vorteil ist derjenige, der noch jemand hat, der zuverlässig und zusätzlich mit anpackt.

Der Preis ein Held zu sein ist hoch. Denn da ist oft nur die diffuse Anerkennung des unmittelbar gesellschaftlichen Umfelds, oft nicht mal vom Patienten selbst, der genug mit sich und seiner Erkrankung zu tun hat.

Es kommt häufiger vor, als man denkt, dass Partner es an der Seite ihrer kranken Angehörigen nicht mehr aushalten. Und dann ? Ausgrenzung durch die Gesellschaft. Verschleierung von Verzweiflung auf der Seite der Betroffenen. Ein düsteres Bild. Bin ich zu negativ? Glaube ich nicht an die alles vermögende Kraft der Liebe, die alle Hindernisse überwindet?

Je mehr ich mir wünsche, dass die oftmals fast idyllisch anmutenden Erzählungen und Geschichten, was die aufopferungsvolle Pflege und stets gleichbleibend emotionale und mentale Unterstützung von kranken Partnern betrifft, mehrheitlich der Wahrheit entsprechen, desto skeptischer werde ich. Die Realität ist viel durchwachsener und gestörter. Ein Paar hat viel erreicht, wenn es die Neudefinition der Beziehung, die eine langwierige schwere chronische Erkrankung eines Partners notwendig macht, einigermaßen hinkriegt und es schafft eine Zeit lang Tiefpunkte tendenziell auszubalancieren. Vor dem nachfolgenden unbeherrschbaren Gefälle gibt es dennoch keinen Schutz.

Es gab Zeiten, da lebte man nicht zu zweit allein, vor allem nicht im Alter. Kümmern und Pflege wurden auf mehreren Familie-Schultern verteilt. Geteilte Betreuung war definitiv die bessere Betreuung. Für jeden Kümmerer blieb da noch ein Stück wirkliches Leben übrig.

Haben wir zugunsten von individueller Autonomie in den letzten Jahrzehnten vergessen, dass die Selbstbestimmung in schwerer Krankheit meistens endet und wir in schlimmster Weise abhängig werden von unseren Nächsten? Heute konzentriert sich alles auf den einen Nächsten, den Partner. Erst wenn der Partner selbst nicht mehr kann, sind vielleicht Kinder da, die eingreifen, und der Staat.

Die heutige Vereinzelung macht vor allem lang andauernde Pflege zu einer großen Last, nur wenige können sie (er)tragen. Diese Last kann Ehen kaputt machen und Lebensfreude zerstören. Treueversprechen hin oder her.