Multiples Myelom (LHRM) Treffen Oktober 2015

Im Oktober trafen sich in schon traditioneller Regelmäßigkeit Betroffene und Angehörige des Multiplen Myeloms der Selbsthilfegruppe des LHRM.

Am heutigen Abend konnte als Vortragender der Frankfurter Onkologe Prof. Dr. med. Wolfgang Knauf gewonnen werden. Der Mediziner arbeitet am Centrum für Hämatologie und Onkologie im Bethanien-Krankenhaus in Frankfurt am Main.

Direkt zu Beginn seines Vortrages erklärte Dr. Knauf, dass er dieses Treffen ganz leger gestalten möchte, ohne Präsentation auf Leinwand, welche seines Erachtens meist nur ablenkt.

Zunächst stellte er die neue „alte“ Abteilung an seiner Klinik vor. Mit der Bildung eines eigenen Tumorzentrums soll sich das Bethanien-Krankenhaus neu positionieren und seine Fähigkeiten und Kompetenzen ausbauen.

Der Schwerpunkt liegt auf einer interdisziplinären Behandlung und folgt somit dem immer größer werdenden Bedürfnis nach ganzheitlicher Behandlung. Auch ist es seiner Meinung nach wichtig, über den Tellerrand zu schauen und alle erdenklichen Optionen auszuschöpfen.

Nach einem interessierten Blick in die Runde stellte Dr. Knauf fest, dass es sich bei den Anwesenden um eine bunt gemischte Gruppe handelt, welche verschiedene Vorkenntnisse und Erfahrungen hat. Daher wollte er zunächst seine eigenen Themen vortragen und im Anschluss Fragen beantworten.

Eine wichtige Frage, die ihm als Mediziner an einer „normalen“ Klinik oft gestellt wird: „Muss es immer eine Uniklinik sein?“

Darauf antwortete er mit einem klaren: „Jein“. Eine gute Behandlung kann sowohl an einer spezialisierten Klinik, als auch in einer Praxis stattfinden. Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist ein tragender Pfeiler der Therapie. Darauf baut auch die sogenannte Patienten-Kompliance auf, die Therapietreue. Hat eine Praxis alle benötigten Anforderungen für eine Therapie, kann ein Krebs-Patient dort genauso gut behandelt werden wie an einer Uniklinik. In kleineren Kliniken und Praxen ist das Verhältnis meist familiärer. Meist sind Unikliniken in der Diagnostik jedoch federführend.

Dr. Knauf machte den Anwesenden deutlich, dass er sich immer für eine medizinische Zweitmeinung ausspricht. „ Das muss das Ego meiner Kollegen schon mal ertragen“. Fügte er schmunzelnd hinzu. Er warnte jedoch vor der ungefilterten Datenflut des Internets. Diese sollte immer nur ergänzend gesehen werden.

Danach begann der Frankfurter Arzt mit einer Einleitung über das Multiple Myelom. Passend dazu fügte er ein Zitat der berühmten Physikerin Marie Curie an: „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“

Der Begriff Multiples Myelom(MM) setzt sich aus dem lateinischen Wort multiple (vielerorts) und dem griechischen myelós (Rückenmark) zusammen. 99,9 % aller MM-Erkrankungen sind systemisch (ganzes System betreffend). Eine extrem seltene Form verursacht solitäre (einzeln) Tumore, welche als Plasmozytom bezeichnet werden.

Bei dieser Krebserkrankung entwickelt sich aus einer wichtigen Zelle fürs Immunsystem, der Plasmazelle, eine Krebszelle mit stark erhöhter Vermehrung. Die eigentliche Funktion dieser Plasmazelle ist durch die Sekretion (Ausscheidung) von Antikörpern (speziellen Eiweißen) die Bekämpfung von Bakterien und Viren.

Die gesunde Plasmazelle sitzt im Knochenmark und sendet von dort ihre Antikörper aus. Auch die Krebszelle ist dort lokalisiert. Dies erklärt auch, warum Myelompatienten sowohl im Knochenmark, als auch in der Peripherie Probleme haben.

Dr. Knauf ging hierzu auf 5 Punkte ein, welche im Krankheitsverlauf eines Patienten meist eine Rolle spielen.

1) Immunschwäche: Dies resultiert aus der Zerstörung des Knochenmarks. Hier wachsen sonst alle Zellen unseres Immunsystems heran. Diese werden durch die Myelomzelle verdrängt.

2) Nierenschwäche: Antikörper werden aus leichten und schweren Teilen (Ketten) aufgebaut. Oftmals werden defekte Leichtketten von der Myelomzelle produziert (ein „Relikt“ der vorherigen Funktion). Diese können die kleinen Nierengängchen verstopfen.

3) Blutarmut: Auch diese wird dadurch erklärt, dass die Myelomzelle das gesunde blutbildende Knochenmark verdrängt.

4) Knochenzerstörung: Die infiltrierend (eindringend) wachsenden MM-Zellen senden Reizstoffe aus, die den Knochenfraß fördern. Damit verschaffen sie sich mehr Platz. Die dadurch entstehende Osteolyse (Knochenfraß) führt meist schwerwiegende Knochenbrüche nach sich.

5) gestörter Mineralstoffwechsel: Durch den starken Knochenabbau kann es zu einem erhöhten Calciumwert kommen, welcher Herzrhythmusstörungen und sehr selten auch Störungen des Bewusstseins nach sich ziehen kann.

Der letzte Punkt kann mittlerweile sehr erfolgreich behandelt werden, so dass dieser Punkt in der Klinik zum Glück nur noch selten ein Problem ist.

Dr. Knauf erklärte mit Bedauern, dass zum aktuellen Zeitpunkt nur 1/3 aller Patienten im Frühstadium erkannt werden. Meist durch den Betriebsarzt (Rückenschmerzen usw.). Die Erkrankung der schwerwiegenderen Fälle wird oft erst nach einem Knochenbruch diagnostiziert.

Hier müssten auch besonders Orthopäden noch stärker sensibilisiert werden. (Für dieses Problem tritt besonders die LHRM-Gruppe ein.)

Immer wieder kommt, auch in der Gruppe, die Frage nach einer Therapienotwendigkeit auf. Hierzu erklärte Dr. Knauf die sogenannten CRAB-Kriterien, welche über die Diagnose „Multiples Myelom“ (oder noch Vorstufe) entscheiden. Wichtig ist hierbei die abnormale Eiweiß-Konzentration sowie Calciumkonzentrationen im Blut, die Nierenfunktion und Knochendefekte.

Besonders der Knochenbefall wird mit einem CT untersucht. Die häufigsten Orte für Osteolysen sind die Wirbelsäule, das Becken und die Oberschenkel. Es ist ein allgemeiner Irrglaube, dass das MRT „besser“ ist. Im MRT lassen sich Weichteile untersuchen, während ein CT besseren Aufschluss über die Knochensubstanz gibt.

Neben den CRAB-Kriterien werden neue tiefgreifendere genetische Untersuchungen immer wichtiger. Genetische Zusatzinformationen sind zwar nicht relevant für die Diagnose, aber spielen eine Rolle bei der späteren Therapiewahl.

In der EU wird eine Therapie erst nach Erfüllen der CRAB-Kriterien gestartet. In den USA werden auch schon Vorstufen des Myeloms (smoldering myeloma) behandelt. Dazu werden in Europa noch Daten in Studien gesammelt.

Nachdem Dr. Knauf den Patienten eine ausführliche Erklärung über Eigenschaften und Diagnostik des MM gegeben hat, ging er im Weiteren auf die Therapieoptionen ein. Zu Beginn seines Studiums gab es lediglich 2 Medikamente. Cortison und Melphalan. Die durchschnittliche Überlebenszeit lag bei 3‑5 Jahren. Seitdem hat sich vieles schon zum Positiven entwickelt. Zwar ist das MM noch nicht heilbar, aber recht gut behandelbar. Das Gesamtüberleben hat sich auf 10 Jahre (und mehr!) erhöht.

Dr. Knauf erklärte die Therapieoptionen an einer passenden Metapher. Er verglich das MM mit einem Computer. Wie kann man den Computer zerstören?

  1. A) Man haut mit dem Hammer drauf: Die klassische Therapie die Chemo, welche immer in Kombination mit neuen Medikamenten noch erfolgreich eingesetzt wird.
  2. B) Man könnte aber auch ein Virus in den Computer einschleusen. Dies erledigen Medikamente wie Velcade/Carfilzomib. Diese dringen in die Myelomzelle ein und zerstören sie von Innen.
  3. C) Eine dritte Option, um den Computer zu zerstören: Man zieht einfach den Stecker! So wie ein Computer Strom braucht, benötigt eine Myelomzelle Nährstoffe. Medikamente wie Thalidomid/Lenalidomid schneiden der Myelomzelle die Versorgungswege ab.

Resümierend zu dem Thema Therapie sagte Dr. Knauf, dass man heute zum Glück die „Qual der Wahl“ hat. Am vielversprechendsten sind immer die Kombinationen aus allen drei Optionen.

Ab nächstem Jahr wird eine völlig neue Substanzklasse erstmals als Standard-Therapie zugelassen werden. Die monoklonalen Antikörper. Diese sind schon viele Jahre bei der Behandlung anderer Leukämien im Einsatz. Da aber jeder Krebs seine Eigenarten hat, benötigt auch jede Krebsform ihre eigenen speziellen medizinischen monoklonalen Antikörper. Und diese müssen alle einzeln entwickelt und erforscht werden.

Die Basis einer jeden Therapie wird aber in den Augen des Frankfurters Onkologen immer noch Cortison bleiben. Als Beispiel führte er das weit verbreitete sehr gut funktionierende VCD-Schema (Velcade, Cyclophosmaid, Dexamethason) an. „Warum sollte ich mich auf die Artillerie verlassen, wenn ich auch die Marine und Luftwaffe mit in den Kampf nehmen kann?“.

Grundsätzlich müssen Patienten bei der Diskussion einer Therapie beachten, dass es einen großen Unterschied zwischen Erstlinientherapie und Zweitlinientherapie gibt. Ein erstmals ausgebrochenes MM wird meist anders behandelt, als bei einem Rezidiv (Rückfall).

Der Dozent vertritt die Ansicht „je mehr, desto besser“. Je stärker das Myelom zu Beginn zurückgedrängt werden kann, desto länger sind die progressionsfreien Zeiten (ohne Krankheitsfortschreiten).

Auch hier klärte Dr. Knauf über einen weit verbreiteten Irrglauben auf. Oftmals wird davon ausgegangen, dass die Gabe von eigenen Stammzellen (autolog) nach einer Hochdosis-Chemotherapie der wichtige Therapieteil wäre. Aber eigentlich ist das hochdosierte Melphalan (viel verwendetes Chemotherapeutikum) die Therapie. Dieses zerstört das Knochenmark. Gute, aber auch die schlechten Teile. Die Gabe der Stammzellen erfolgt zur Linderung der Nebenwirkungen. Ohne dieses hätte der Patient kein lebenswichtiges Immunsystem mehr.

Als Voraussetzung für eine Hochdosis-Chemo spielt das Alter eine wesentliche Rolle. Aber nicht mehr das Alter im Personalausweis, vielmehr das biologische. Heute werden auch noch Patienten mit Anfang 70 transplantiert.

Leider, so führte Dr. Knauf weiter aus, gibt es trotz der vielen Möglichkeiten immer noch viele Krankheitsrückfälle. Dieses Therapieversagen führt dann zu dem gefürchteten Rezidiv.

Hier greift die Zweitlinientherapie. Diese hat einen völlig anderen Ansatz. Möglichst langfristig und gut tolerierbar. Man möchte den Krebs unterdrücken, ohne den Körper zu stark zu schwächen. Der Frankfurter Onkologe fand hier ungewöhnlich offene Worte. Ab dem 70. Lebensalter steigt die Sterblichkeit in der Bevölkerung ohnehin aufgrund von anderen Alterskrankheiten stark an. Ein älterer Patient hat trotz eines Myeloms heute die besten Chancen „normal alt“ zu werden. Natürlich mit einigen Abstrichen. Dafür bleibt das Myelom eine doch zu heimtückische Erkrankung.

 

Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Dr. Knauf viele Fragen der anwesenden Patienten.

Dem Arzt war es während seines Vortrags wichtig, alle Begriffe allgemeinverständlich zu erklären. Aber da Mediziner ein gewisses Fach-Vokabular benutzten, muss auch der Patient neue Begriffe lernen. Der Idealfall ist ein Arzt, welcher in einem vertrauten Verhältnis mit seinem wohlinformierten Patienten die beste Therapie findet. Voraussetzung dafür ist die Mitarbeit beider.