Freundschaft und Krebs, das funktioniert oft nicht

Freundschaft und Krebs, das funktioniert oft nicht

Vor kurzem hat mich wieder eine Freundin "verlassen", immerhin nach mehr als 10 Jahren Bekanntschaft. Ehrlich gesagt hat es zwischen uns nie so ganz richtig gepasst. Ich habe nur immer darüber hinweg sehen wollen. Wohl fühlte ich mich in ihrer Gegenwart schon lange nicht mehr. Ihre Bereitschaft meine Erkrankung anzunehmen und zu verstehen war eigentlich schon immer gleich Null und im Zentrum standen stets ihre Eigenbefindlichkeiten, die an Dramatisierung kaum zu überbieten waren. Ihrem Rückzug ging kein Streit zwischen uns voraus, nur wachsende Entfremdung.

Seit ich Blutkrebs habe passiert mir zum 3. Mal, dass sich Menschen auf diese Weise verabschieden. Obwohl jeder Fall anders gelagert war, kann ich ein Muster erkennen. Der Bruch wird nicht offen thematisiert, sondern es wird so getan, als wäre nichts - anfangs melden sie sich immer seltener, schließlich gar nicht mehr. Wenn man sie direkt auf die Gründe anspricht, weichen sie aus.

Die erste Freundin hat mich verlassen, als ich ganz am Anfang meiner Erkrankung beim Power Walking am Berg nicht mehr mithalten konnte. Ich konnte die körperliche Leistung in der Gruppe nicht mehr bringen und musste zurück bleiben. Sie brach kurz darauf den Kontakt komplett ab, kein Anruf, kein Besuch, nichts. Ein guter Freund war intensiv an meiner Krankheit interessiert, seine Anteilnahme war groß, seine Unterstützung mir wichtig. Er war damals selbst in einer sehr trostbedürftigen Phase, denn seine Mutter war ebenfalls krebskrank. Als sie wieder gesund war, meldete er sich kaum noch, der Anfang vom Ende...Mit beiden Freunden war ich über Jahre vertraut gewesen und hatte mit Ihnen vor meiner Erkrankung viel Zeit verbracht.

Man kann es sich einfach machen und behaupten, das seien eben keine richtigen Freunde gewesen. Aber das stimmt nicht. Es hat schöne Erlebnisse miteinander gegeben, eindeutige gegenseitige Sympathie und selbstlose Hilfestellungen. Das macht doch Freundschaft aus, oder? Ich konnte zwar nichts dafür, aber plötzlich konfrontierte ich meine Freunde mit so einer „Hammer-Krankheit“. Das war zwischen uns nicht abgesprochen. Und die Forderung, dass meine Krankheit ab dann Teil unserer Beziehung sein sollte, war ihnen gegenüber offensichtlich nicht fair. Krebs hat eine große einschüchternde Kraft, er ändert über die Zeit unnachgiebig Alltag, Lebensqualität, Beziehungen… alles. Irgendwas in mir versteht, dass es nahe liegen kann, „die Biege zu machen“.

Oh ja, auch gesunde Menschen werden verlassen! Und doch ist es ein häufiges Thema unter chronisch kranken Menschen. Sie beklagen häufig den Verlust von Freunden. Eine Tante von mir, eine einfühlsame Heilpraktikerin mit einem großen Freundeskreis, war vor ihrem Tod jahrelang schwer lungenkrank und verlor in dieser Zeit fast alle ihre Freunde. Diese Art von Verlieren meine ich.

Psychologisch ist das Verhalten der Freunde nachvollziehbar: Sie gehen, weil es anstrengend ist mit kranken Menschen, weil diese oft nicht verlässlich sein können, weil man nur noch Weniges gemeinsam unternehmen kann, weil man denkt, man müsse trösten und kann es irgendwie nicht, weil man meint seine eigenen Sorgen aus Pietät nicht mitteilen zu können, weil man die diffuse Angst hat, dass einem eines Tages ähnlich Bedrohliches widerfahren könnte...
Auf diese Weise drücken sie der Situation ihren Stempel auf und der normale Umgang zwischen zwei ehemals befreundeten Menschen wird versperrt.

Niemand hat von Anfang an vor sich aus dem Staub zu machen. Aber irgendwie - und zwar proportional zur Dauer der Erkrankung - kommt der Zeitpunkt, an dem bestimmte Freunde im Kontakt nachlässiger werden und schließlich ausbleiben. Meistens sind zeitliche Belastung oder eigene gesundheitliche Beeinträchtigungen die Hauptgründe, aber wir alle wissen, dass das vorgeschoben ist, denn ein kurzes Telefonat, eine Verabredung zu einem baldigen Treffen, eine nette SMS oder eine kurze Email gehen eigentlich immer, jedenfalls nach meiner Erfahrung.
Die Abtrünnigen fühlen sich bei ihrer "Flucht" unwohl und die Sympathie für den Erkrankten besteht grundsätzlich weiterhin, aber die vielfältigsten Herausforderungen des eigenen Alltags lassen nach und nach Kontakt und Anteilnahme immer mehr schwinden. Die Prioritäten werden bewusst anders gesetzt und verteidigt.

Wie peinlich kann ein zufälliges Wiedersehen nach Wochen oder Monaten des Schweigens sein. Die Exfreundin oder der Exfreund hat nichts anderes im Sinn als schnellstmöglich weiter zu eilen, tut aber so, als sei alles ganz normal, möglicherweise kommt sogar ein kurzes, nie eingelöstes "ich melde mich". Beim nächsten zufälligen Treffen kann es sogar sein, dass der Betreffende vorbei geht ohne zu grüßen. Darauf angesprochen die Antwort " Ach, ich hab' dich gar nicht gesehen. " Augenkontakt wird vermieden. Das ist dann der Tiefpunkt und man muss sich mit unwürdigen und paranoiden Gedanken herumschlagen wie "vielleicht hat er oder sie mich ja wirklich nicht gesehen?" Sinnvoll ist die Geschichte zu diesem Zeitpunkt wirklich abzuhaken.

Was ist mit mir? Hätte ich vielleicht netter, großzügiger, liebenswerter, toleranter, fröhlicher sein müssen, mich verbiegen sollen, um die Reisenden auf diese Weise aufzuhalten? NEIN, ich hatte immer schon genau in dem Moment verloren, als der andere seinen Rückzug langsam begann.

Das Schöne ist, es gibt Freunde, die bleiben. Manchmal hat man das Glück neue Freundschaften zu schließen. Klammern ist jedoch nie eine gute Option.